Vegan Ocean: Fisch, ganz ohne Fisch

Wir haben mit Alexander Flohr über pflanzlichen Fischersatz und die vegane Küche gesprochen.

Vegan Ocean: Fisch, ganz ohne Fisch

Es ist Ihnen sicher aufgefallen: Die Supermarktregale mit Fleisch- und Milchersatz bekommen Zuwachs. Immer öfter tummeln sich dort auch vegane Fischalternativen. Der Rezeptkreateur und Kochbuchautor Alexander Flohr, der für seine pflanzlichen, alltagstauglichen Gerichte nicht nur auf Youtube gefeiert wird, hat dazu noch viel mehr Ideen. Er sagt: Es muss kein Fertigprodukt sein! Der gedankliche Durchbruch dabei: „Wenn man einmal verstanden hat, dass Fische nach Algen und nicht Algen nach Fischen schmecken, wird es einfach.“

Flohrs Rezepte funktionieren auf zwei Ebenen: Einerseits wird durch Algen ein ähnlicher Geschmack, andererseits mit verschiedenen Kniffen eine vergleichbare Konsistenz erzeugt. Belugalinsen imitieren etwa Kaviar, Melanzani in Reispapier Backfisch. Alles ganz natürlich und garantiert grätenfrei!

INTERVIEW: Wir haben mit Alexander Flohr über das Thema genauer gesprochen.

Herr Flohr, wie sind Sie zum veganen Kochen gekommen?
Ich lebe seit 2012 vegan, der Umstieg hatte gesundheitliche Gründe. Damals habe ich noch als Handwerksmeister gearbeitet und bei einer Größe von 1,74 cm h135 Kilo gewogen, mit sämtlichen gesundheitlichen Begleiterscheinungen, die man sich nur vorstellen kann. Das Gewicht hatte viel mit meiner ungesunden Ernährung zu tun. Ich hatte mich 2001 selbstständig gemacht, bis dahin war ich immer sehr sportlich. Aber mit der Selbstständigkeit wurde der Sport immer weniger. Wie das halt so ist: hier mal ein Döner, da mal eine Bockwurst, dort eine Bulette. Irgendwann hat sich mein Körper in eine gesundheitliche Schieflage begeben, bis ich mich schließlich vor lauter Schmerzen nicht mehr bewegen konnte. Ich hatte entzündete Gelenke, Schlaflosigkeit, Asthma und irgendwann am ganzen Körper Schmerzen. Ich bin von Arzt zu Arzt gerannt und war in Krankenhäusern. Die Ärzte haben mit den Schultern gezuckt. Sie haben zwar gesehen, dass meine Blutwerte schlecht sind, aber keiner wusste, wie er Heilung in meinen Körper bringen könnte. Keine Tabletten haben mir geholfen, und die Diäten, die man mir empfohlen hat, schon gar nicht. Und dann habe ich mich begonnen, mich mit dem Thema Selbstheilung zu befassen und bin dabei auf pflanzliche Ernährung gekommen. Ich habe mir gesagt, okay, das versuche ich jetzt. Ich war damals schon dreifacher Vater: Ich wollte leben und für meine Kinder da sein. Also bin ich von einem Tag auf den anderen vegan geworden.

War der Umstieg einfach?
Man muss sich das so vorstellen: 2011/2012 gab es keine Produkte wie heute im Supermarkt, wodurch man hätte sagen können: „Okay, ich schwenke jetzt einfach um.“ Also musste ich den Kochlöffel schwingen und habe angefangen zu kochen. Ich habe mit Hülsenfrüchten, Tofu und Gemüse experimentiert, um die eher deftigen Geschmäcker, mit denen ich aufgewachsen bin, also Gulasch, Buletten und ähnliches, pflanzlich nachzubauen. Das hat mir so viel Spaß gemacht, und ich habe so ein Können darin bewiesen, dass daraus meine zweite Karriere entstanden ist.

Vom Handwerksmeister zum veganen Spezialisten – wie kann man sich das vorstellen?
Ich habe 1, 2 Jahre nach der Umstellung eine Ausbildung zum Ernährungsberater gemacht, um zu verstehen, was in meinem Körper Positives passiert ist, aber auch um zu wissen, wie ich denn meine Rezepte und Ernährung zusammenstellen muss, damit ich mich wirklich gesund ernähren kann. Kurz zusammengefasst kamen dann Freunde und Kollegen von meiner Frau und haben gesagt, „Mensch, Alex, was du aus Gemüse machen kannst! Du musst Kochkurse geben!“ Und die waren dann unheimlich gut besucht. Irgendwann war ich auf der Hochzeit von meinem Freund Patrick Baboumian, einem der stärksten Menschen der Welt. Dort bin ich auf die Tierrechtsorganisation PETA gestoßen. Und die haben gesagt, du bist Handwerksmeister, du quatschst wie dir die Zunge gewachsen ist, du hast eine Ahnung von Ernährung, du lebst vegan – wir müssen mit dir eine Kochshow machen. Also haben wir 2015 angefangen Youtube-Videos zu machen. Und das hat so eingeschlagen, dass schließlich Zeitungen, Fernsehen und Presse kamen. Im Anschluss hab ich mein erstes Buch geschrieben, dann das zweite, dritte und vierte. Im Oktober 2019, kurz vor der Corona-Welle, habe ich meine Handwerksfirma verkauft und seither bin ich als Autor, Youtuber etc. selbstständig. Das nahm alles so seinen Lauf. Das, was ich heute mache, war nie mein Traum, aber ich bin da irgendwie so hineingewachsen. Ich bin megahappy damit.


Ich hatte früher selbst Vorurteile gegen Veganer.

Früher haben viele Menschen, die Fleisch essen, schon die Nase gerümpft, wenn sie nur das Wort „Vegan“ gelesen haben. Der Zugang dazu scheint sich im Zuge der Flexitarier-Entwicklung zu ändern. Empfinden Sie das auch so?
Auch bei mir ist es anfangs so gewesen. Ich habe in den ersten 1 bis 2 Jahren niemandem gesagt, dass ich vegan lebe. Ich hatte früher selbst Vorurteile gegen Veganer. Ich dachte mir auch, das sind so schwächliche, blutarme, humorlose Typen. Und irgendwann hab ich mir gesagt, „Nein, ich bin vegan, aber ich bin das totale Gegenteil von einem schwächlichen Typen. Warum soll ich nicht sagen, dass ich vegan lebe?“

Viele Nicht-Veganer tun sich mit dem Wort „pflanzlich“ leichter als mit dem Begriff „vegan“.
Ich verwende auch lieber das Wort „pflanzlich“. Beim Begriff „vegan“ ist schon noch heute immer wieder mal so, dass manche Menschen Vorurteile haben und die Nase rümpfen, obwohl auch das immer entspannter wird. Es ist sicher nicht mehr so krass wie vor 7, 8 Jahren. Rein pflanzlich klingt aber einfach nicht so militant.

Wie reagieren Sie auf Menschen, die Veganem immer noch negativ gegenüberstehen?
Es kommt immer darauf an, wie man konfrontiert wird. Wenn mir einer doof kommt, dann komm ich dem auch doof. In der Regel ist es aber eh eher so, dass Menschen sagen, „Das kann doch nicht funktionieren.“ Und dann kann ich ganz entspannt antworten, „Ich lebe schon seit über 10 Jahren so. Ich bin stärker und gesünder als je zuvor, ich lebe nicht nur noch, ich lebe auch vitaler als je zuvor.“ Die Frage ist ja nicht nur: vegan oder nicht-vegan? Es geht auch darum, wie ich mich genau ernähre. Ich sage immer: „Meine pflanzliche Ernährung ist sehr gesund, weil ich mich sehr frisch und umfangreich ernähre.“ Bei Veganem denken viele sofort an die Chemiekeule. Wenn ich mich nur von veganen Fertigprodukten ernähre, ist natürlich nicht alles gesund. Aber ich rede ja von frisch zubereitetem Essen. Dazwischen liegt ein himmelweiter Unterschied.

Warum assoziieren viele mit Veganem eine Chemiekeule?
Viele denken bei Veganem einfach an Fertigprodukte, weil es so auch in vielen Discounterblättern kommuniziert wird. Vegan steht da als Beschreibung nur bei Fertigprodukten dabei, aber nicht bei Kartoffeln, Gemüse oder Nudeln.

In Ihrem neuesten Buch „Vegan Ocean“ dreht sich alles um pflanzliche maritime Rezepte, die Sie entwickelt haben. Finden Sie es heute noch moralisch vertretbar, nicht-veganen Fisch zu essen?
Weder Fisch, noch Eier, Fleisch und Milchprodukte. Das kann man alles gar nicht mehr vertreten. Mittlerweile haben wir auch so gute Alternativen, dass man auf den Geschmack nicht mal mehr verzichten muss. Heute wissen wir eben, dass es sehr gut anders geht.

Was halten Sie von Fischalternativen aus dem Supermarkt?
Das sehe ich von zwei Seiten. Wenn ich jemandem sage, es gibt geschmackliche Alternativen, auch im Supermarkt, um sich schnell mal etwas anderes zu holen: Dann ist das eine super Sache. Bei Fischstäben oder Backfisch schmecke ich ja zudem sowieso mehr die Panade und nicht das, was drinnen ist. Ich finde es also gut, dass es diese Produkte gibt, um Menschen vom Fisch wegzubringen und die Artvielfalt und die Meere zu schützen. Aber wirklich gesund ist es eher, wenn man die Alternativen selbst macht. Geschmacklich sind diese Ersatzprodukte aus dem Supermarkt auch noch nicht hundertprozentig ausgereift. Da wird aber in den nächsten Jahren noch ganz viel passieren. Die Fleischalternativen vor vielen Jahren haben auch nicht geschmeckt, und die sind mittlerweile fast perfekt. So wird es mit Fisch auch sein.


Der Fisch ernährt sich von Algen. Deshalb schmeckt der Fisch nach Alge, nicht umgekehrt.

Sie empfehlen sowieso, lieber frisch zu kochen. Wie haben Sie es in Ihren Rezepten geschafft, maritime Geschmäcker mit natürlichen, pflanzlichen Zutaten nachzubauen?
Ich habe immer überlegt, was ist das Typische? Was macht den Geschmack von Fisch aus? Man steht am Meer, man riecht Meeresluft und denkt an Fisch. Dann merkt man irgendwann, „Okay, das Meer riecht ja nicht per se nach Fisch. Der Fisch, der im Meer schwimmt zieht die Aromen des Meeres an. Aber was sind die Aromen des Meeres? Das sind Salzwasser und Algen. Der Fisch ernährt sich von Algen. Deshalb schmeckt der Fisch nach Alge, nicht umgekehrt.“ So bin ich draufgekommen, dass es möglich sein muss, den Geschmack mit Algen natürlich nachzubauen. Und das hat geklappt, es ist kein Hexenwerk. Wenn ich eine Dorade mit viel Zitrone, Dill und typischen Gewürzen wie Thymian und Cayennepfeffer zubereite und dies vegan umsetzen möchte, dann muss ich schauen, wie ich die Alge darin integriere und welch gutes, pflanzliches Grundprodukt sich eignet. Ich erzähle das jetzt so, als wäre das total einfach, aber es hat natürlich schon ein wenig gebraucht, bis ich dahin gekommen bin.

Wie lange doktern Sie an einem Rezept herum, bis es für Sie passt?
Bei den Fischalternativen hat es ein wenig länger gedauert als sonst, da ich noch keine Grundlage hatte. Es gab Rezepte, die sind mir, wie die meisten Rezepte sonst auch, über Nacht gekommen. Da habe ich morgens die Zutaten aufgeschrieben, und innerhalb von vier Stunden hatte ich etwa den veganen Backfisch. Bei den veganen Shrimps habe ich aber zum Beispiel ein wenig länger gebraucht. Da habe ich drei, vier Tage herumgetan, mit Reis- und Konjakmehl, bis ich irgendwann eine Struktur hatte, die mir gefallen hat. Alles in allem brauche ich für ein Fischgericht drei Mal länger wie für alles andere. Es war einfach komplexer, weil es nichts gab, worauf ich mich beziehen konnte.

Algen können nicht nur den Geschmack von Fisch anknipsen, sie haben auch viele gesundheitliche Benefits. Worauf achten Sie beim Kauf von Algen?
Algen sind kleine Superlieferanten von guten Substanzen, etwa Omega 3. Ich beziehe meine Algen aus Algenfarmen in Deutschland, die biologisch anbauen. Dadurch kann ich sicher sein, dass ich keine Abwassergifte zu mir nehme und das reine, gute Produkt bekomme. Man kann natürlich Algen aus China beziehen, aber warum sollte ich das? Hierzulande wird unter den besten Bedingungen produziert. Es ist ähnlich wie Fischen und Meeresfrüchten: Wenn ein Fisch in unseren verdreckten Weltmeeren schwimmt und komplett mit Schwermetallen verseucht ist, will man ihn doch nicht essen. Für Algen, die aus dem Meer kommen, gilt ähnliches. Da unterstütze ich doch lieber ein Unternehmen, das hier ansässig ist, bezahle einen Euro mehr, aber wir haben alle was davon. Und ich weiß, was drinnen ist.

Buchtipp:

"Vegan Ocean – Maritime Küche" von Alexander Flohr, erschienen im Becker Joest Volk Verlag, € 30,90