Retro-Drinks wieder voll im Kommen
Alles begann mit einem Balken. Die Barriere, in den USA "The Bar" genannt, auf den man seinen Fuß abstellen konnte, galt als Absperrung zwischen Wirt und Gast und war namensgebend für die Barkultur, die Anfang des 20. Jahrhundert auch seinen Weg nach Wien gefunden hat. In der Bundeshauptstadt ist der Boom der traditionellen American Bars erste Mitte der 1980er-Jahre ausgebrochen. Die Wiener lieben süße Cocktails, doch werden heute wieder traditionelle Retro-Drinks serviert.
Der Cocktail, das elementare Bestandteil einer jeden Bar, entstand im 19. Jahrhundert aufgrund der mangelnden Qualität der damals zur Verfügung stehenden Spirituosen. Mit der Beifügung von Zucker, Honig und aromatischen Zuckerstoffen wurden die scharfen Alkoholika damals schmackhafter gemacht, wie Christof Habres, der Autor des "Wiener Barbuchs" beschreibt.
Schwerer Start in Wien
Vor dem Ersten Weltkrieg befanden sich traditionelle American Bars in Europa, bis auf wenige Ausnahmen, fast ausschließlich in internationalen Hotels wieder. Die Etablierung war besonders in Wien schwer, wo man gerne Wein und Bier konsumierte und lieber ins traditionelle Kaffeehaus ging, als in eine Bar, berichtete Habres. "Es dauerte bis in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts, um von von Hotels unabhängigen Lokalitäten sprechen zu können, die den Namen Bar auch verdienen."
Die ersten Bars
1908 wurde die "Kärntner Bar" in der Wiener City eröffnet, auch bekannt als Loos-Bar, einige Jahre später öffnete die "Eden-Bar" ihre Pforten. Jedoch erst Mitte der 1980er-Jahren feierte die original American Bar in Wien seinen Siegeszug mit Lokalen wie "New York, New York" in der Annagasse und dem "Barfly's Club" in der Esterhazygasse.
Gehobenes Publikum
"Früher war das Barpublikum gehoben, ruhig, gut angezogen. Dass man eine Bar auch mit Jeans besuchen kann, kam erst einige Jahre später", erzählte Rene van de Graaf, ein Niederländer, der 1996 "Dino's American Bar" am Salzgries eröffnete. Erst in den 1990er-Jahren wurde die moderne Bar durch Clubbings im Technischen Museum oder in den mittlerweile abgebrannten Sophiensälen etabliert, die auch junges Publikum angelockt haben. In der Zwischenzeit hat Wien mittlerweile durchaus eine erfolgreiche Barkultur entwickelt, meinte Gerhard Kozbach-Tsai von der Vienna Bar Community. Österreichs Barkeeper sind mehrfach ausgezeichnet.
Qualität zählt
Der Cocktail der 1990er-Jahre entsprach dem puren Urlaubsfeeling: groß, bunt und mit Schirmchen. Heute steht die Qualität der Spirituose im Vordergrund, der Saftanteil ist eher gering. Dennoch sind Cocktails, die an den letzten Sommerurlaub erinnern, wie der Caipirinha oder der Mojito, den Wienern am liebsten, so Erich Wassicek von der Bar "Halbestadt". Der Trend geht aber in Richtung Retrostyle, die Drinks werden wieder ausgereifter. So werden wieder vermehrt kräuterversetzte Weine und Liköre serviert.
"Bester Job der Welt"
Im Lauf der Jahre wurden viele Originalrezepte verändert: 1934 wurde der "Cosmo" noch mit Gin gemacht, 1960 mit Vodka und heute mit Vodka citron. Dafür werden andere Drinks wie der Daiquiri noch so gemacht wie vor Jahrzehnten. "Jeder Gast ist anders und hat einen anderen Geschmack", erklärte Wassicek. "Barkeeper zu sein ist der beste Job der Welt. Denn der Gast schenkt ihm das Wertvollste überhaupt: seine rare Zeit."
apa/red - 17