Schleichende Shrimps: Schneckenpost vom Stanitzel bis in die Haubenküche

Langsam kriecht die Weinbergschnecke, von einem 1200 Quadratmeter großen Feld am Westrand Wiens, zurück ins kulinarische Gedächtnis einer Stadt, in der sie einst an jeder Ecke zu haben war.

Na ja, zumindest in dem kleinen Grätzel rund um die Peterskirche, abseits des noblen Grabens. Dort gab es noch im 19. Jahrhundert einen Schneckenmarkt, auf dem die in Essigwasser eingelegten Tiere im Stanitzel verkauft wurden - und von den k. u. k. Connaisseuren beim Flanieren verspeist wurden wie heute Maroni. "Schneckenweiber" verkauften sie auch gebacken oder gezuckert - als "Austern des kleinen Mannes".

Wenn der frischgebackene Schneckenzüchter Andreas Gugumuck stadtauswärts über seinen Acker blickt, liegt knapp hinter dem Horizont die Römersiedlung Carnuntum, wo Schnecken schon weit früher kredenzt wurden. Auffallend viele gekringelte Häuser kamen dort bei Ausgrabungen zum Vorschein; die Donaurömer kannten wohl schon das Kochbuch des Apicius. "Schnecken wurden auf Weinruten gespießt, kräftig mit Thymian gewürzt und über Holzkohle gegrillt", sagt Gugumuck; er hat das selber schon probiert: "Sie haben ein wunderbares Röstaroma."

Gugumuck wurde richtig übermütig, als er irgendwann feststellte, dass sein neuer Nebenerwerb weit weniger Skepsis hervorrief, als er anfangs vermutet hatte: "Schließlich habe ich ja etwas begonnen, für das es keine konkrete Nachfrage gab." Bei einer Projektpräsentation seiner IT-Firma im Finanzministerium wagte er sogar ein privates Catering-Experiment. Er versorgte die Kunden mit kleinen Fingerfood-Schneckenklassikern, füllte die küchenfertigen Mollusken mit Speck- und Knoblauchbutter und ließ sie gratiniert servieren. "Es ist erstaunlich gut angekommen." Mittlerweile gehört auch die Wiener Spitzengastronomie zu seiner Kundschaft: Im "Schwarzen Kameel" kombiniert Christian Domschitz die unbehausten Schnecken mit Bries und Aal; im "Mraz" gibt's Schneckensuppe und im "Wiener Salon" Schneckenravioli (weitere Schneckenlokale listet Gugumuck auf www.wienerschnecke.at auf).

Gugumucks Mitbewerber Marc Hochstätter vom niederösterreichischen "Schneckenland" ( www.schneckenland.at), wo 40.000 Schnecken einen Hektar Ackerland bevölkern, beliefert mittlerweile sogar einige von der Haubengastronomie ziemlich unbeleckte Landgasthäuser, wo dann zum Beispiel Schneckenwochen statt Heringsschmäuse stattfinden. Es müssten doch nicht immer Shrimps sein, raunen die Wirte ihren Gästen zu: "Probieren Sie doch mal unsere heimischen Shrimps."

Rezeptur: Zwei Schneckenklassiker mit Butter
Für 4 Personen werden jeweils 48 Weinbergschnecken und ihre gereinigten Häuser benötigt.
Estragonbutter: 200 g zimmerwarme Butter mit hehackten Blättern von 10 Zweigen Estragon und 1 kleinen Bund Petersilie, 5 gehackten Knoblauchzehen und 2 gehackten Schalotten vermengen, mit Salz und Pfeffer würzen. Schnecken in die Häuser geben, diese mit der Buttermischung glatt verschließen und mit der Öffnung nach oben auf eine Backform mit groben Meersalz setzen. Bei 220 Grad im Rohr überbacken, bis die Butter brodelt.

Schinkenbutter: 100 g etwas dicker geschnittene Prosciutto- oder Schinkenspeckscheiben in winzige Würfel hacken und mit 200 g zimmerwarmer Butter, 1 kleinen Bund gehackter Petersilie, 1 gehackten Knoblauchzehe und 2 fein gehackten Schalotten vermengen. Wie die Schnecken mit Estragonbutter weiterverarbeiten.