Vikerl neu - das Recht auf den 2. Bissen:
Christoph Wagner über das "bittermann"

Zementsackjournalismus ist eine Form des Restauranttests, bei dem der Tester auf einer Baustelle sitzt und als Tafelmusik ein Duett für Schlagbohrer und Mischmaschine hört, während ihm auf einem notdürftig mit Damast überzogenen Stützbock ein improvisiertes Menü serviert wird, damit er als Erster über das Lokal berichten kann. Ich lehne diese Testform strikt ab, bin aber heute, Staub und Sägemehl auf mein Haupt, selbst unter die Zementsackjournalisten gegangen.

Mein Besuch bei Adi Bittermann, der soeben "Vikerls Lokal" in Wien-Fünfhaus verkauft hat und ab 10. Oktober das "bittermann" in Göttlesbrunn eröffnet, ist, das muss ich zu meiner Rechtfertigung anführen, allerdings kein Test, sondern eine Wallfahrt.

Die Bittermann-DNA
Sie führt zu einem Koch, dessen Künste ich nicht mehr testen muss, da ich sie im Laufe der letzten zehn Jahre als Stammgast schon voll "ausgetestet" habe. Ja, mehr als das: Ich habe von Adi Bittermann gelernt, wie man in drei (!) Tagen ein wirklich gutes Gulasch kocht, wie man einen 24-kg-Waller filetiert und wie man "weiße Nierndln" auf den Tisch bringt. Die Bittermann'sche DNA hat offenbar den idealen Gen-Mix aus einem Altwiener Beiselkoch und einem Grand Cuisinier abbekommen, und erfrischend zeitgeistresistent ist "der Adi" auch noch, wenn er etwa bekennt: "Ich brauch kein Krebsschwanzerl in der Kürbissuppe, damit sie sechs Euro kosten kann. Bei mir kostet sie drei Euro und ist einfach eine gute Kürbissuppe. Die Köche schreiben heute immer mehr auf die Speisekarten und kochen dafür immer weniger. Ich halte meine Speisekarten ziemlich knapp - und koche dafür mehr." Das meint Adi Bittermann vor allem in qualitativer Hinsicht, wenngleich ihm auch eine gewisse Quantität am Herzen liegt. "Bei manchen Kollegen habe ich das Gefühl, sie verrechnen eine ganze Portion und servieren nur einen Bissen. Meine Gäste haben aber auch das Recht auf einen zweiten und dritten Bissen."

Auf Augenhöhe mit den Franzosen
Nun täte man Bittermann jedoch bitteres Unrecht, würde man diese gutmütige Beiselkomponente seines kulinarischen Ich überbewerten. Mindestens ebenbürtig ist sein Ehrgeiz, es den ganz Großen seiner Branche in Sachen Perfektion gleichzutun, wenn er sich etwa an Edelprodukte wie Jakobsmuscheln, Steinbutt, Fasan oder Schwarzfußschwein heranmacht oder sich vor allem in Sachen Innereien mit den großen Franzosen misst. Das alles und noch einiges mehr gibt es nunmehr im stilsicher renovierten k. u. k. Schulgebäude am Göttlesbrunner Kirchplatz zu erleben. Hier, erzählt die Tirolerin Bettina Bittermann, die für den Service und das 320 Etiketten umfassende "Vinarium" zuständig ist, wurde laut einem Dokument aus dem Jahr 1736 "alljährlich ein Schullehrer gedungen und anschließend ein Gemeindetrunk abgehalten". Letzterer beginnt nun täglich außer Dienstag um zehn Uhr Vormittag, am Sonntag erst um elf. Denn sonst, so Bürgermeister Walter Glatzer, "gehen die Leut womöglich nimma in die Kirch'n". Was tatsächlich zu befürchten stünde.

bittermann Vinarium
2464 Göttlesbrunn
Abt-Bruno-Heinrich-Platz 1
Tel.: 0 21 62/ 811 55
Dienstag Ruhetag, ganztägig Küche
www.bittermann-vinarium.at