Wagners Gourmet-Kritik: Ein Pünktchen im Südosten als Retter der kulinarischen Ehre

Als Klaus Besser, gemeinsam mit Wolfram Siebeck der Begründer der modernen deutschen Restaurantkritik, in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Landkarte mit den hundert besten Restaurants Europas auf den Markt brachte, war Österreich darauf ein blinder Fleck. Die kulinarische Ehre der Alpenrepublik rettete nur ein Pünktchen im äußersten Südosten des Landes, das den "Raffel" in Jennersdorf als kulinarischen Schnittpunkt von West- und Osteuropa markierte. Das "Leading Team" dieser kulinarischen Legende ist übrigens bis heute am Werken.

Die Erfolgsgeschichte begann bereits 1953, als der gelernte Kellner und Fleischhauer Ernst Kampel den Betrieb von Verwandten übernahm und die hübsche Friseurtochter Paula Kettner von gegenüber heiratete. Diese verfügte allerdings nicht nur über haariges Know-How, sondern auch über eine von ihrer Mutter, die es in Pittsburgh bis zur Chefköchin gebracht hatte, gemeinsam mit deren Kochtalent ererbte Rezeptsammlung. Seit 1953 steht Paula Kampel-Kettner täglich in der Küche des Hauses, das seither etlichen Metamorphosen von der Csarda-Schenke mit Roma-Band bis zum (post)modernen Seminarhotel mit Gourmet-Touch unterworfen war.

Gehaubt und enthaubt-tet
Heute ist der Raffel ein bisschen alles von allem. Die zwischenzeitlich immer wieder behaubte und je nach herrschender Mode wieder enthaubte-te Küchenlinie ist jedoch, mit wenigen, teils optischen, teils auch ernährungsphysiologischen Zugeständnissen an den jeweils wehenden Zeitgeist, ursprünglich schlaraffisch, man könnte auch sagen: gut-altösterreichisch geblieben. Wie auch Ernst Kampel, wiewohl längst Kommerzialrat und Gebieter über einen magnatenwürdigen Weinkeller, immer noch mit dem Charme eines "echten österreichischen Kellners" serviert.

"Rennate" Gansln zum Martinischmaus
Auch die Goldene Hochzeit haben Philemon und Baucis aus Jennersdorf schon seit zwei Jahren hinter sich und geben ein geradezu idealtypisches Beispiel dafür ab, dass man mit unverfälscht und (von gelegentlichen, stressbedingten Ausrutschern abgesehen) durchwegs mit Liebe und Perfektion zubereiteten Gerichten wie in Butter gebratener Gänseleber auf Apfelscheiben, Halászle mit gewaltigen Karpfenstücken, Fogasch mit Steinpilzen, Rahm und Zupfnockerln, gefüllten Tauben mit Erdäpfelauflauf, Hofente mit Apfelrotkraut, Erdäpfelknödel und Semmelauflauf sowie Uhudlerpalatschinken oder Böhmischen Nussrahmdalken bei guter Gesundheit ein beträchtliches Alter erreichen kann. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man sich dabei mindestens soviel bewegt wie die "rennaten" Gansln, die zur Zeit des legendären großen Martini-Schmauses beim "Raffel" harren.

Web-Tipp: Christoph Wagner's Weblog:
www.speising.net

Raffel
Adresse: Hauptplatz 6, 8380 Jennersdorf
Telefon: 0 33 29.466 22
Fax: 0 33 29.462 47
www.raffel.at
Öffnungszeiten: Ruhetag(e): keine; Küchenzeiten: 11-22 Uhr