Wagners Gourmet-Kritik der Woche: Der Kritiker kostet sich durchs Streichquartett

Was die Wiener Küche von der mediterranen unterscheidet, ist ihre zählebige Weigerung, sich von einer Hauptspeisen- und Beilagenküche, die als Vorspeise allenfalls eine Suppe duldet und gerade noch Platz für ein, meist sogar gewaltiges Dessert lässt, weiter zu entwickeln.

So hat sich die Wiener Küche auch bis dato dem zeitgemäßen Verlangen nach Aufklitterung in viele, möglichst kleine und leichte Komponenten verschlossen, die sich je nach Tageszeit, Diätlage und Stoffwechselerfordernis wie etwa Italiens Antipasti, Griechenlands Mezes oder Spaniens Tapas je nach Lust, Laune und Portionsgröße kombinieren lassen. Das ist auch Hermann und Bernadette Weinzirl aufgefallen, die schon seit Jahren im „Cantino“ (im obersten Stock des „Hauses der Musik“) die gepflegteste Tapas-Bar Wiens führen. Die beiden blieben der Musik durchaus treu und pachteten das seit Joachim Gradwohls vielgefeierter Übersiedlung in die Meinl-am-Graben-Küche leerstehende Konzerthausrestaurant dazu, das früher „Ma’estro“ hieß und sich nunmehr schlicht „Weinzirl“ nennt.

Name ist Programm
Der bodenständige Name - ein altes Wort für Winzer - ist gleichzeitig auch Programm. Gekocht wird in mit Bedacht auf Wohlgefühl adaptierten klassizistischen Räumlichkeiten der ehemaligen Tanzschule Fränzel - von ein paar Scampi und Meeresfischen abgesehen - ausschließlich österreichisch. Die Portionen sind jedoch klein, und die Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten entspricht jenen einer Tapas-Bar. Wer vor dem Konzert nur auf einen Sprung hereinschaut, mag sich an einem „Streichquartett“ aus viererlei Aufstrichen (Grammelschmalz, Bärlauch, Räucherlachs und Kren) delektieren oder einfach eine Wiener Erdäpfelsuppe mit Speck und Schwammerln bestellen. Eilige Gäste können sich auch selbst ein kaltes „Schmankerl-Trio“ zusammenstellen, das beispielsweise aus Wildsaftschinken mit Vogerlsalat, Räucherforelle und Rindfleischsülzchen bestehen könnte.

Kultige Ess-Bar
Wer den ganzen Abend hier verbringen möchte (oder nach der Pause aus dem Konzert „flieht“), dem steht auch die Wahl eines „Schmankerlmenüs“ aus je zwei kalten, warmen und süßen Schmankerln vom Lauch-Strudelteigsackerl übers Wiener Kalbsrahmgulasch bis hin zu Topfenknödeln mit Zimtbröseln offen. Veritable Hauptspeisen vom Butterschnitzel bis zum Tafelspitz serviert Küchenchef Florian Ortner, dessen Küche mit „äußerst verlässlich“ wohl am besten umschrieben ist, auch. Weine gibt´s feine, und obendrein die neuerdings immer „kultigere“ Möglichkeit, ohne Voranmeldung rund um eine lange Ess-Bar Platz zu nehmen und sich wie bei Robuchon in Paris zu fühlen. Oder zumindest fast.

Weinzirl
Restaurant im Konzerthaus
1030 Wien, Am Heumarkt 6
Tel.: 01-512 55 50;
an Konzerttagen ab 17.30, bei Matineen auch mittags geöffnet
Info: www.weinzirl.at
Prädikat: aparte kulinarische Ergänzung zu musikalischen Genüssen

Web-Tipp: Christoph Wagner's Weblog:
www.speising.net