Was macht ihn bloß zum Koch-Superstar?:
Wagner über das Phänomen Jamie Oliver

Der Brite kocht und schreibt nicht besser als andere Köche auch. Was macht ihn dennoch zum Star?

Was macht ihn bloß zum Koch-Superstar?:
Wagner über das Phänomen Jamie Oliver

Als James Trevor Oliver am 27. Mai 1975 in einem Kaff in Essex im Sternzeichen der Zwillinge geboren wurde, sprach, außer der Nacktheit aller Babys, wenig dafür, dass er einmal als "Naked Chef" - so hieß seine 1998 erstmals ausgestrahlte TV-Sendung - in die Kochgeschichte eingehen sollte. Nackt hat sich der schöne Jamie, zum Leidwesen zahlreicher Leserinnen, auch nie gezeigt. Nackt sind lediglich die Zutaten, mit denen er kocht und die er auf das Wesentliche beschränkt wissen will. Das will Witzigmann zwar auch, aber dem fehlte der griffige Slogan, und daher ist der 32-Jährige heute populärer als alle Küchengötter von Ducasse bis Robuchon.

Kunstprodukt
Dabei hat Jamies Bio wenig Glanzvolles. Er half seinem Vater zunächst in der elterlichen Pub-Küche und lernte im College kochen. Er arbeitete als Model und jobbte im Londoner River Café, wo er auch entdeckt und zum Beweis dafür wurde, wie eine perfekt geschmierte Medienmaschinerie auch ein absolutes Kunstprodukt zu realem Leben erwecken kann. Erst durch seine TV-Show wurde Jamie wirklich zum Koch und - obwohl als Legastheniker fürs Schreiben nicht gerade prädestiniert - Bestsellerautor.

Kulinarische Realitysoap
Ein Restaurant, wie es normalerweise am Beginn der Karriere von TV-Köchen steht, erwarb Jamie Oliver erst, als ihn als Koch schon jeder kannte. Dafür widmete er es auch einem guten Zweck - nämlich der Ausbildung arbeitsloser Jugendlicher aus benachteiligten sozialen Milieus. Böse Zungen unterstellen, dass Jamie mit seinem sozialen Engagement nur vertuschen möchte, dass man im Londoner "Fifteen" nicht gerade formidabel speist.

"Einer von uns"
Tatsächlich ist eines der großen Geheimnisse von Jamies Karriere, dass er sich als erster Spitzenkoch nicht "nach oben gekocht" hat, sondern von Profis gecastet und gecoacht wurde. Er ist einerseits der ideale "Hübsche Junge aus der Nachbarschaft" und andererseits der absolute Gegenentwurf zum "Man nehme"-Fernsehkoch altschulmeisterlichen Stils. Jamie ist "einer von uns", sprich: aus der Generation X, mit deren, möglichst multiethnischen, Vertretern er sich auch ständig umgibt. Stets herrscht Gewusel und Gelächter in seiner Küche, und auch Ehefrau Jools sowie die Töchter Poppy Honey und Daisy Boo sind mit von der Partie. Deren wichtigste Botschaft: Nichts ist leichter als Kochen. Macht keine Arbeit, aber einen Heidenspaß, und über Abfall und Abwasch reden wir erst nach der Sendung.

Ein Sinn fürs Grobe
Schon das Marktfahren mit Mofa und Rollerblades ist ein Teil des Koch-Erlebnisses. Jamies Rezepte sind schlicht, schlüssig und basieren auf einfachsten Tricks ("Huhn wird knuspriger, wenn man vor dem Braten Butter unter die Haut schiebt"). Jamie, der leidenschaftliche Hobbydrummer, hat auch einen sympathischen Sinn fürs Grobe, das er allerdings nicht brutal, sondern mit Charme rüberbringt. Provencegemüse knallt er, statt es zu schmoren, einfach mit viel Olivenöl aufs Backblech. Außerdem liebt Jamie das Zermörsern und braucht auch kein Salatbesteck, sondern walkt die Blätter mit beiden Händen so lange durch, bis er sich am Schluss nur noch selbst abtropfen lassen muss.

Politisch korrekt
Nur unlängst, da hätte Jamie sich beinahe die Finger verbrannt, als er, um seine Political Correctness unter Beweis zu stellen, vor laufenden Kameras ein Lamm nach jüdisch-islamischem Ritus schächtete und damit Englands Tierschützer gegen sich aufbrachte. Doch auch sie werden ihm verzeihen. Hat er doch in seinem jüngsten Werk auch wieder jede Menge fleischlose Kost anzubieten - womit er einmal mehr voll im Trend liegt.

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